Brunsbüttel

Klimacamp hat für Montag Aktion vor den Toren Yaras geplant

Seit Donnerstag ist das Agrar- und Klimagerechtigkeitscamp der Bewegung „Free the Soil“ in St. Margarethen aufgebaut. Etwa 250 Menschen sind bereits vor Ort und nehmen an verschiedenen Seminaren teil. 

Die Stimmung in der Zeltstadt beschreibt eine Sprecherin der Kampagne, Merla Goldner, als gut. „Die Leute sind aus Frankreich, Dänemark, den Niederlanden, Belgien und Schweden zu uns gekommen.“ Die Atmosphäre erinnert an ein Feriencamp: Während die einen sich unterhalten, spielen andere Tischtennis oder lesen. Ab 11 Uhr werden in der mobilen Küche die Vorbereitungen für das Mittagessen getroffen. Die Zutaten stammen aus der Region. Bis zu 1000 Teilnehmer erwarten die Organisatoren bis kommenden Mittwoch, dem letzten Tag ihres Klimacamps.

Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft

Die Forderungen, die die Free-the-Soil-Aktivisten formulieren, vertreten auch bundesweit Landwirte selbst. Sie haben sich bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft zusammengeschlossen und wollen ein Umdenken bewirken. Ihre Ziele sind unter anderem eine gentechnikfreie Landwirtschaft, Qualität soll den Vortritt vor Dumpingpreisen bekommen. Außerdem soll Land nicht an Investoren verkauft, sondern Bauern zur Verfügung gestellt werden und es soll faire Erzeugerpreise geben. 

Für Montag haben die Aktivisten eine Versammlung beim norwegischen Konzern Yara angemeldet. Bereits am Donnerstag standen schon Polizeiwagen vor dem Werk. Den Düngemittelhersteller Yara haben sich die Aktivisten gezielt ausgesucht. Sie kritisieren zum einen die Produktion von synthetischem Düngemittel für die Landwirtschaft. Zum anderen geht es ihnen um die Treibhausemissionen von Yara.

Während für viele Düngemittel und Landwirtschaft zusammengehören, bewertet Free the Soil dies anders. „Es gib effektive Alternativen wie zum Beispiel Brennnesseljauche.“ Die Bewegung fordert darüber hinaus, dass die industrielle Landwirtschaft von kleinstrukturierten Betrieben abgelöst wird. Dass es dabei zu Problemen kommen könnte, die Weltbevölkerung zu ernähen, sieht Merla Goldner nicht. Sie verweist auf eine Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Dort heißt es zum einen, dass Hunger in nahezu allen Regionen Afrikas auf dem Vormarsch sei. So haben 2018 mehr als 821 Millionen Menschen gehungert – und das, obwohl die Landwirtschaft mehr Kalorien erzeugt als rechnerisch für die Weltbevölkerung notwendig sei. Eine der Hauptursachen für den Hunger ist nach Meinung der Experten der Klimawandel neben politischen Konflikten und Wirtschaftskrisen. Ihre Lösung: eine kleinteilige bäuerliche Landwirtschaft. Denn laut UN-Bericht seien es noch immer die Kleinbauern, die die Weltbevölkerung zu 80 Prozent mit Nahrungsmitteln versorgen. 

Für das Yara-Werk in Brunsbüttel sei das „eine völlig ungewöhnliche Situation“, wie Dr. Udo Stark, stellvertretender Werkleiter, auf Nachfrage sagt. Zurzeit hastet er von einer Sicherheitskonferenz zur nächsten. Die Verantwortlichen des Unternehmens hätten bereits im Frühjahr von dem Vorhaben der Klimaaktivisten Wind bekommen. Es sei also ausreichend Vorlauf gewesen, sich zu wappnen. „Wir haben uns mit den zuständigen Behörden abgestimmt und sind gut vorbereitet“, so Stark. Wobei er nicht wisse, welche Aktionen und vor allem zu welchen Zeitpunkten die Campteilnehmer genau planen. Natürlich sei für das Werk ein umfangreicher Sicherheitsplan ausgetüftelt worden. Der soll, so gut es geht, geheim bleiben. „Nur so viel: Wir haben als erstes unsere Zaunanlage unter die Lupe genommen und den Werkschutz für den gesamten Zeitraum des Camps verstärkt.“ Außerdem sei der Schichtplan der Mitarbeiter „den Gegebenheiten angepasst worden“. 

Eine weitere Vorsichtsmaßnahme fällt dem aufmerksamen Betrachter ins Auge, der in diesen Tagen am Yara-Werk auf der Südseite vorbeifährt: Der Parkplatz ist wie leergefegt. Der Grund: Es wurde ein Pendel-Service eingerichtet. Der holt die Beschäftigten an einer zentralen Stelle ab und kutschiert sie das letzte Stück zur Arbeit, damit sie nicht mit dem eigenen Pkw auf das Werkgelände fahren müssen. „Es soll niemand von Demonstranten behindert werden“, sagt  Udo Stark. Die Argumente der Klimaaktivisten kann er nicht nachvollziehen: „Im Jahr 2050 werden rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um die Weltbevölkerung ernähren zu können, müssen Düngemittel eingesetzt werden.“ Eine andere Alternative wäre seiner Meinung nach, viel mehr Ackerflächen zu schaffen: „Dafür müssten dann aber große Wälder gerodet werden, was nicht sehr klimafreundlich wäre, weil Kohlendioxid aus den Böden freigesetzt wird.“ 

16,6 Millionen Treibhausgase

Der Düngemittelhersteller Yara hat im Jahr 2018 weltweit 16,6 Millionen Tonnen Treibhausgase emittiert. Im Jahr davor waren es 15,1 Millionen Tonnen. Dr. Udo Stark erläutert die Erhöhung: „Yara hat mehr produziert, weil es zwei Werke in Brasilien und Indien dazugekauft hat.“

Die Stickstoffoxid-Emissionen lagen weltweit bei rund 8000 Tonnen. Das geht aus dem öffentlichen Jahresbericht des Konzerns hervor. Im Brunsbütteler Werk werden keine Nitrat-Düngemittel hergestellt, sondern Ammoniak, Harnstoff und Adblue. „Ammoniak ist aber ein Vorprodukt für Düngemittel, das zum Teil in anderen Werken Yaras weiterverarbeitet wird“, so Stark. Harnstoff werde unter anderem für die Produktion technischer Stoffe wie Leim verwendet. Adblue ist ein Produkt, das die Stickoxid-Emissionen von Dieselmotoren reduziert.

Bei der Herstellung von Ammoniak fallen im Yara-Werk Brunsbüttel jährlich rund 1,4 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid als „Nebenprodukt“ an. Laut Udo Stark werden davon 850 000 Tonnen freigesetzt. Der Rest würde für die Herstellung von Harnstoff verwendet. In den vergangenen sechs Jahren habe das Yara-Werk Brunsbüttel 50 Millionen Euro in moderne Verfahrenstechnik investiert, sodass die Kohlendioxid-Emissionen um 50 Prozent gesenkt worden seien. „Unser nächstes Ziel ist eine weitere Reduktion um zehn Prozent in den kommenden Jahren“, kündigt der stellvertretende Werkleiter an.  

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