Heide
Kritik an der Gedenkkultur
Kaum eine Gemeinde kommt ohne das in der Tradition verankerte Ritual aus: Am örtlichen Ehrenmal wird am Sonntag ein Kranz niedergelegt, die Anwesenden bekunden Trauer – nach der offiziellen Lesart ganz allgemein für Opfer von Krieg, Gewalt und Terror. Doch die Kränze liegen vor Mahnmalen, die lediglich die Jahreszahlen 1914-1918 und 1939-1945 sowie Inschriften wie „Sie starben für uns“, „Uns zu Ehren“, „Den im Weltkrieg gefallenen Helden“ oder „Liest du der Namen lange Reihen, bedenk, was sie gelitten und weihe dich mit Herz und Hand dem Ziel, für das sie stritten“ tragen.
Der Hamburger Pastor Ulrich Hentschel kritisiert die Erinnerungsorte des Volkstrauertags. „Da geht es um Heldenverehrung“, sagt der bis zu seinem Ruhestand vor sechs Jahren tätige Studienleiter für Erinnerungskultur an der evangelischen Akademie der Nordkirche. Er hält am kommenden Mittwoch auf Einladung der Bewegung gegen den Krieg Dithmarschen in Heide einen Vortrag zu den Denkmälern in Dithmarschen. Den so oft für die Gedenkstätten verwendeten Namen will er gar nicht relativieren: „Leider stimmt der Begriff: Es sind Ehren-mäler.“
Seine Position ist eindeutig: „Die Denkmäler brauchen eine kritische Einordnung. Dafür reicht eine Tafel nicht aus. Sie müssen tatsächlich umgestaltet werden.“ Und zwar nicht mit ein paar „Plexiglasscheiben“, vielmehr müsse eine Kommune „ästhetisch künstlerisch die bestehenden Kriegsbotschaften infrage stellen“. Hentschel spricht sich explizit gegen Abrisse der Ehrenmäler aus. Schließlich seien sie Denkmäler ihrer Zeit, nämlich meistens der 1920er Jahre.
Von Brian Thode
Der Grundsatz muss bleiben
Großbritannien hat seinen Remembrance Day, Russland den Tag der Erinnerung und Trauer – und Deutschland den Volkstrauertag. Die großen Beteiligten der Weltkriege gedenken der Opfer. Das ist richtig und wichtig.
Denn nur durch einen fest im Kalender verankerten und mit Zeremonien begleiteten Tag wird deutlich, dass die Erinnerung an die Toten der Kriege nicht verblassen darf – als Mahnung für uns alle. Deshalb ist dieser Tag der Andacht bedeutend und gehört fortgeführt.
Ohne Frage, Rituale und die Gestaltung von Ehrenmälern gehören auf den Prüfstand und kritisch hinterfragt. Allein der Begriff „Ehrenmal“ ist beschönigend, denn der Krieg hat nichts Ehrenhaftes – er kennt nur Gewalt, Verbrechen und Tod. Auch muss noch deutlicher werden, dass nicht nur der Opfer der eigenen Nation und nicht nur jener der beiden Weltkriege gedacht wird. Doch die Namen müssen auf den Denkmälern stehen bleiben, damit nicht in Vergessenheit gerät, dass es keine namenlosen Individuen waren, die in den Weltkriegen sinnlos verheizt wurden. Ein Ausradieren käme einer Verleugnung unserer dunklen Vergangenheit gleich.
Als über die menschenverachtende Ideologie der Nazis aufgeklärte Gesellschaft sollte es doch kein Problem sein, eine offene Debatte über eine Reform des Volkstrauertages zu führen. Aber der Grundsatz muss bleiben.
Von Burkhard Büsing
Falscher Name, falsche Orte
Hurra-Patrioten und Nazis kollektiv hinterherzutrauern, ist mehr als fragwürdig. Genau das aber geschieht am Volkstrauertag. Der Tag dient der Nation, kollektiv zu gedenken. Das Kollektiv namens Wehrmacht ist zweimal jubelnd in Kriege mit zu verurteilenden Zielen gestürzt. Individuelle Schicksale und vereinzelte, vielleicht sogar kritische Einstellungen zu den Regimen, stehen auf einem anderen Blatt – aber der Volkstrauertag dient nicht individueller Trauer. Er steht in der Tradition, einer ehrenwerten Sache zu huldigen.
Die „Ehrenmäler“, die sich meist in ihrer Ausdruckskraft explizit in diese Tradition stellen und nur deutsche Soldaten in den Blick nehmen, unterstreichen dies – kritische Reden an dem Tag hin oder her. Die Kränze werden nicht vor dem Skript niedergelegt. Zwar wurde das Gedenken schon geweitet. Doch die Symbolkraft des Ortes ist gar nicht zu unterschätzen.
Der Name Volkstrauertag muss der Geschichte angehören, wenn es ein Gedenktag gegen den Krieg sein soll, um Trauer geht es nicht. Außerdem ist so ein Tag nur glaubhaft, wenn der Ort sich nicht in seiner Breite voll auf deutsche Soldaten zweier Weltkriege forciert. Erst wenn der Fokus durch eine gründliche Veränderung des Erinnerungsorts geweitet worden ist, wird das notwendig kritische Gedenken dort legitim.
In Dithmarschen hat sich die Gemeinde Volsemenhusen ähnliche Gedanken gemacht. Auf Initiative von Bürgermeister Detlef Mattiesen ließ die Gemeinde im vergangenen Winter einen zusätzlichen Gedenkstein aufstellen, der mit dem Schriftzug „Zum Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft“ sowie „Für Frieden und Freiheit“ trägt und einen Gegenpunkt zum bestehenden Ehrenmal setzt.
Kritik an bestehenden Ehrenmälern üben auch die Heider Geschichtslehrer Dr. Volker Gaul und Claus-Peter Kock. Sie haben mit Schülern eine neue Gedenkstätte entworfen, die einem Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt gerecht würde und nicht einer Heldenverehrung diene. Das Denkmal an der Österweide sei „in der Art und Weise aus der Zeit gefallen“, sagt Gaul.
Hentschel stört sich nicht nur an der Art des Gedenkens. Auch die „Volkstrauer“ ist ihm ein Dorn im Auge. „Trauer? Das nehme ich niemandem ab.“ Es brauche kein Soldatengedenken. „Für die Eltern des getöteten Soldaten war der Mensch auch ohne Uniform wichtig.“ Die Trauer sei etwas Persönliches, Kriegerdenkmäler beschränkten die Person auf die Rolle des Soldaten.
Trotzdem spricht sich Hentschel gegen eine Abschaffung des Volkstrauertages aus. „Diesen Tag gibt es. Ihn zu streichen ist problematisch. Sie müssen ihn umbenennen in einen Tag der Debatte.“ Hans-Joachim Flicek von der Dithmarscher Attac und der GEW, die ebenfalls Gastgeber sind, wenn Hentschel vorträgt, ist da noch offensiver: „Für mich wäre es angebracht, den Volkstrauertag zu eliminieren.“
Die Bewegung gegen den Krieg Dithmarschen, die Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen (DFG-VK), Attac und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) laden für Mittwoch, 17. November, zur Info- und Diskussionsveranstaltung „Denk-mal! Vom Heldengedenken zur Friedenspolitik. Dithmarscher Kriegs-Denkmäler hinterfragen!“ ein. Pastor i.R. Ulrich Hentschel äußert seine Gedanken. Anhand von drei Beispielen aus Dithmarschen sollen Möglichkeiten zur Veränderung besprochen werden. Die Veranstaltung beginnt um 18.30 Uhr im Gemeindesaal St. Jürgen am Markt 26a in Heide. Es gilt die 3-G-Regel.
Konkrete Trauer, Gedenken an Opfer von Terror- und Gewaltherrschaft bis zum Ehren einer fragwürdigen Sache: Die Meinungen, wofür der Volkstrauertag steht, gehen auseinander. Personen, die sich des Themas aus den unterschiedlichen Richtungen annehmen, beziehen Stellung.
Zusammengetragen von Burkhard Büsing
Für den Heider Standortkommandeur Oberstleutnant Michael Laatz ist der Volkstrauertag ein wichtiger Teil der Gedenkkultur der Bundeswehr. Die Öffentlichkeit sei dabei wichtig, um zu unterstreichen, dass die Parlamentsarmee Teil der Gesellschaft sei. Deutschland gedenke „Bürgern aus unserer Mitte“, sagt Laatz, der damit den bei der Bundeswehr gepflegten Grundsatz des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ hervorhebt. Der Volkstrauertag mache klar, dass die Soldaten aus der Mitte der Gesellschaft kämen. „Wir sind ein Teil davon, weil wir für Frieden und Freiheit eintreten“. Dass nicht nur bundeswehrintern, sondern in vielen Gemeinden ein Kranz niedergelegt wird, sei für Soldaten ein wichtiges Element der Wertschätzung. Gleichzeitig habe für die Bundeswehr der Volkstrauertag zum einen die Bedeutung des Innehaltens für in jüngster Vergangenheit verlorene Kameraden, zum anderen diene er als Mahnung im Erinnern an den Ersten und Zweiten Weltkrieg. In der Bundeswehr gebe es noch über den Volkstrauertag hinaus eine Gedenkkultur, doch der Schritt in die Öffentlichkeit und der gemeinsame Akt mit der Bevölkerung außerhalb der Kaserne sei wichtig.
Die Geschichtslehrer Claus-Peter Kock (links) und Dr. Volker Gaul des Werner-Heisenberg-Gymnasiums treten dafür ein, dass der Opferbegriff geweitet wird. Am Volkstrauertag vor Denkmälern zu gedenken, die die Jahreszahlen 1939-1945 tragen, statt bei 1933 anzusetzen, sehen sie als falsche Einengung. Denkmäler beinhalteten oft die falsche Botschaft. Für Heide haben die beiden deshalb mit Schülern einen Entwurf für einen neuen Erinnerungsort erarbeitet. Menschen hätten bereits seit 1933 unter dem Terrorregime gelitten. „Wir wollen den Soldaten nichts wegnehmen“, sagt Gaul. Aber es müssten Kriege und deren Folgen bis heute thematisiert werden. Den Volkstrauertag halten Kock und Gaul für einen wichtigen Tag, um das Elend des Krieges zu vermitteln.
Eine Überarbeitung des Ehrenmals Österweide in Heide böte sich durch den dort geplanten Hotelbau am derzeit bestehenden an. „Uns würde eine Versetzung nicht reichen.“ Schließlich sei der gesamte Raum symbolisch aufgeladen. Die Lehrer haben mit ihren Schülern deshalb einen neuen Entwurf ausgearbeitet und bereits der Ratsversammlung vorgelegt. Es stehe die Frage im Raum, wie ein sinnvolles Gedenken über 70 Jahre nach dem Krieg aussehen soll. „Uns geht es nicht um das Entfernen von Denkmälern, sondern das spannungsvolle Ergänzen“, sagt Kock.
Landrat Stefan Mohrdieck räumt ein, dass es mit zunehmender Distanz zu den beiden Weltkriegen immer schwieriger sei, die Erinnerungskultur zu bewahren. Dass es am Volkstrauertag aber nicht mehr nur um die Soldaten, insbesondere der beiden Weltkriege, gehe, finde er gut. Schließlich habe sich die Bedeutung gewandelt. Für die einzelne Familie sei sie geringer geworden. „Für mich steht der Volkstrauertag für ein Gedenken, dass sich erweitert hat.“ Nun sei der Blick geweitet auf Gruppen, die unter (deutscher) Verfolgung gelitten haben. Die noch immer wichtige und aktuelle Mahnung an Frieden sieht er als zentralen Punkt der Veranstaltungen an.
Mohrdieck befürwortet es, kritisch auf die Denkmäler zu schauen. „Gemeinden, die die Diskussion nicht führen, müssen sich nach außen erklären.“ Gleichwohl stört ihn der Begriff „Ehrenmal“ nicht. „Ich glaube schon, dass es eine Ehre ist, für das Vaterland zu sterben.“ Gerade weil seiner Meinung nach die Bundeswehr den Frieden in Deutschland sichert, auch wenn der Gedanke, mit Gewalt für Frieden sorgen zu müssen generell widersinnig sei. „Aber so ist die Welt nun einmal.“ Besonders im Jahr, in dem der Afghanistan-Einsatz zum Ende kam, falle der Blick besonders auf die Arbeit der Soldaten. „Wir wollen beitragen, einen Frieden zu erreichen.“
Johann Herrmann Junge (von links), Karl Heinz Kuthning und Harro Harder kümmern sich um die Dorfgeschichte Lindens und haben 2014 und 2015 Schautafeln aufgestellt, um den getöteten Soldaten zweier Weltkriege, die aus dem Dorf kamen, ein Gesicht zu geben. Auf den Tafeln sind Fotos, soweit vorhanden, zu sehen sowie Lebensdaten und auf einer Karte die Orte der letzten Lebenszeichen vermerkt. Die drei bemerken, dass der Volkstrauertag bei vielen kaum eine Rolle mehr spielt. „Es fehlt das Bewusstsein“, sagt Harder und meint damit gerade nachgeborene Generationen. Während einer historischen Führung von Junge durch das Dorf sei hingegen das Interesse an den Lebensgeschichten einzelner auf den Ehrentafeln Aufgeführter durchaus groß gewesen. Harder aber ist überzeugt: „Es ist schon eine wichtige Veranstaltung.“ Es gehe um Personen aus dem Dorf, die gefehlt hätten. „Es gibt auch auf deutscher Seite Opfer zu betrauern.“
Kuthning ist als Feuerwehrmann seit etlichen Jahren an dem Gedenktag anwesend. „Die Feuerwehr sieht sich als traditionswahrend. Aber die moralische Verpflichtung ist nicht mehr so hoch“, sagt er in Anbetracht der langen Zeitspanne, seit dem der Krieg geführt wurde. Einzelne hätten noch einen Bezug, vor allem aber diene der Tag, „um zu sagen: Nie wieder Krieg.“
Hans-Joachim Flicek (links) von attac und Georg Gerchen von der Bewegung gegen den Krieg Dithmarschen empfinden den Volkstrauertag nach wie vor als ein Heldengedenken, in dessen Tradition die Veranstaltungen bis heute stünden. Dabei stoßen sich die beiden insbesondere an den Ehrenmalen. Wenn etwa in Elpersbüttel „Für uns“ zu lesen ist, entgegnet Gerchen: „Die beiden Welteroberungskriege sind nicht für mich geführt worden.“ Aktuell könne am Abzug der Bundeswehr in Afghanistan ein Heldengedenken abgelesen werden, wenn „tonnenschwere Gedenksteine und Getränke ausgeflogen werden, aber nicht die Menschen.“
Der Volkstrauertag „ist ein Tag der Uniformträger, das hat mit Volk nichts zu tun.“ Der Subtext, räumt Flicek ein, sei bei vielen Veranstaltungen ein anderer. Allerdings seien sie gleichzeitig von einer martialischen Atmosphäre durch Uniformen und Ehrenmäler begleitet. Die Ausweitung verwasche nur den Opferbegriff, denn dies könnten Verfolgte sein. „Aber auch der tote SS-Mann ist ein Opfer.“ Wenn der Gräuel von Krieg und Terror gedacht werden sollte, böte sich etwa der internationale Antikriegstag am 1. September an. „Es gibt genügend Tage, an denen wir den Antikriegsgedanken konstruktiv festigen“, sagt Gerchen.
Propst Dr. Andreas Crystall misst dem Volkstrauertag eine hohe Bedeutung zu. Erinnern sei ein mühsames Geschäft, „aber unglaublich sinnvoll und wichtig“. An den Ehrenmalen „passiert sehr viel Sinnvolles“, sagt Crystall. Er erlebe immer wieder, dass Bürgermeister ihn um Rat fragten und sehr bemüht seien, etwas zu sagen, dass über den Ort hinausgeht. „Es wird immer daran erinnert, dass wir nicht in einer friedlichen Welt leben.“ Außerdem erlebe er es oft, dass die Problematik um die Ehrenmäler angesprochen werde. Die Friedensmahnung wie auch die Erinnerung stehen für den Propst im Vordergrund. Crystall schätzt es, wenn der Gedenkveranstaltung ein Gottesdienst, eine Andacht vorausgeht. Denn diese gäben der Veranstaltung eine weitere differenzierende Stimme und Ort.
„Ich habe noch die Uhr, die stehen geblieben ist, als die Granate einschlug. Ich saß auf dem Holzbein meines Großvaters – ich habe noch erfahren, wie sich Krieg anfühlt.“ Da der direkte Kontakt schwinde, „finde ich die Stadt Heide vorbildlich, dass sie die Jugend mit einbezieht.“ Die nicht moralisierende Vermittlung und Weitergabe des Wissens müsse das Ziel sein. „Es geht immer um die nächste Generation“, sagt Crystall auch mit dem Verweis auf den an der Neulandhalle geschaffenen Erinnerungsort.
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